Titelcover Waltharius Waltharilied Königs Erläuterungen     Musterseite Waltharius Waltharilied Königs Erläuterungen

Mit Band 140 unserer Reihenchronik gelangen wir zu einem wahren Heldenepos: dem Waltharilied, auch als Waltharius bekannt. Die Geschichte von Walther und Hildegunde aus der Welt der Nibelungen gehörte zu einem beliebten Werk der wilhelminischen Zeit. Seine Bedeutung nahm seitdem spürbar ab - und heute, zumindest in den Schulen, ist er ziemlich in Vergessenheit geraten. Heldenepen haben gerade nicht so Konjuktur... aber trotzdem gibt es einen Blick in den alten Schinken: Blick ins Buch.

Und (SKANDAL) - wir müssen es leider zugeben - auch unseren Autoren unterlaufen Fehleinschätzungen: ist doch unser dunnemaliger Autor Prof. Hoffmann mit aller Akribie und literaturwissenschaftlicher Leidenschaft der damaligen Lehrmeinung auf den Leim gegangen: der Verfasser des Waltharilieds ist nämlich nicht Ekkehard sondern ein linksrheinischer Mönch.

Aber jetzt erst einmal weiter:
Den kürzesten Inhalt des Walthariliedes gibt die erste Strophe einer mittel-hochdeutschen Übersetzung wieder:

 

 

 

 


Diz liet ein altez maere in niuwer wise seit;
wie Walther von den Hiunen mit Hildegunde reit,
und wie im Wasgenwalde er sluoc die Günthers man,
und vride unde soune sin ellenhaftiu hant gewan.

Es würde zu weit führen, die ausführliche Waltharisage folgen zu lassen, eine kurze Inhaltsangabe soll genügen: Zur Zeit der Völkerwanderung vor 1500 Jahren zog der Hunnenkönig Attila mit seinem wilden Heere nach Westen über den Rhein und eroberte ohne Schwertstreich das Reich der Franken am Rhein, das Reich der Burgunder und das Reich der Westgoten, Aquitanien. Der Frankenkönig Gibich von Worms, König Herrich von Burgund sowie König Alpher von Aquitanien unterwarfen sich freiwillig und übergaben kostbare Geschenke, um der Verwüstung ihrer Länder zu entgehen.

Beim Rückzug Attilas mußten ihm die drei Könige durch Eid geloben, jährlich durch Boten als Tribut kostbare Schätze, Gold und Edelsteine in das Hunnenland zu senden. Als Unterpfand verlangte Attila eines ihrer Kinder als Geisel. So zogen der Königssohn Walther von Aquitanien und die Königstochter Hildegunde von Burgund, die nach damaliger Sitte von ihren Eltern anverlobt waren, mit Attila in die Fremde.

In dem Entscheidungskampf, der am folgenden Tag beim heutigen Waltherstein auf freiem Felde zwischen Walther, Günther und Hagen stattfand, verlor König Günther ein Bein, Hagen das rechte Auge und Walther die rechte Hand. Am Lagerfeuer am Wasgenstein versöhnten sich die drei Helden und Walther und Hagen erneuerten ihren Freundschaftsbund. Ohne Schätze und Hildegunde kehrten Günther und Hagen geschlagen nach Worms zurück. Walther und Hildegunde aber erreichten glücklich wieder ihre Heimat und nach der Hochzeit herrschte Walther noch viele Jahre über zwei Reiche als König.

Aber jetzt kommts: nicht Ekkehard I. von St. Gallen (unser Autor Professor Doktor Hoffmann war vor 100 Jahren auch noch der Meinung) — ein Mönch des Klosters Weißenburg ist der Dichter des Walthariliedes. Lange Zeit wurde einmütig als Verfasser des „Waltharii poesis" ein Mönch, Ekkehard I. von St. Gallen, und als Entstehungszeit das Jahr 930 anerkannt. Die bisherige Auffassung über das Waltharilied ist aber durch die neuesten Forschungen ins Wanken geraten. Heute steht die Forschung auf dem Standpunkt, daß des Dichters Aufenthalt nicht in St. Gallen, sondern auf der linken Seite des Oberrheines zu suchen ist und Ekkehard I. als Verfasser nicht mehr in Frage kommt.

Auch die Entstehungszeit des „Waltharii poesis" wurde durch die neuesten Forschungen überholt. Wenn das Epos nicht von Ekkehard I. stammt, so fällt die einzige Stütze für die Zeit um 930 weg. Heute ist man allgemein der Ansicht, daß das Gedicht älter als bisher angenommen ist und in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts geschrieben wurde.

Innerhalb der literarischen Überlieferung, die uns das deutsche Mittelalter hinterlassen hat, nimmt das Heldenepos von Walther und Hildegunde eine besondere Stellung ein. Durch das ganze Mittelalter wurde der siegreiche Kampf der Westgoten gegen die Rheinfranken zur Zeit der Völkerwanderung besungen. Das Waltharilied führt uns so recht in den Geist altgermanischer Heldenzeit zurück. Das Epos von Walther von Aquitanien ist uns in seiner vollständigsten und ältesten Form in der lateinischen Dichtung „Waltharii poesis" überliefert und umfaßt beinahe 1500 Versfüße des Hexameters. Die auf uns gekommenen Handschriften aus dem 11.—16. Jahrhundert entstammen den verschiedensten Gegenden und sind alle in Klöstern angefertigt. Die schönste Walthari-Handschrift, die in der Mitte des 12. Jahrhunderts geschrieben wurde und aus dem Kloster Reichenau in die Markgräflich Baden-Badensche Bibliothek gekommen ist, befindet sich in einem Sammelband der Landesbibliothek Karlsruhe.